Am 17. August ist der Todestag vom Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Nachdem sich in den letzten beiden Jahren die Heß-Märsche in Berlin etablieren konnten, gibt es nun unterschiedliche mögliche Szenarien. Wie auch in den Jahren 2017 und 2018 muss entschieden Widerstand gegen diese neonazistische Großveranstaltung geleistet werden.
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Das Revival der geschichtsrevisionistischen Großaufmärsche
Die geschichtsrevisionistischen Märsche in Dresden galten rund zwei Jahrzehnte als das einheitsstiftende Moment der Naziszene und zählten mit einer Teilnehmer*innenzahl von bis zu 5000 Nazis zu den faschistischen Großevents im europäischen Raum. Durch die antifaschistische Gegenmobilisierung konnte die Dynamik der Aufmärsche gebremst und deren Teilnehmer*innenzahlen verkleinert werden. Seitdem ist das faschistische Spektrum auf der Suche nach einer vergleichbaren Veranstaltung, bei der sie demonstrativ den Schulterschluss mit verschiedenen Naziorganisationen üben und die eigenen Reihen stärken können. Schon kurz nach dem Heß-Aufmarsch 2017 wurde die Mobilisierung in der Naziszene als Erfolg verbucht. Der Heß-Aufmarsch, mit 1400 Nazis, hat verdeutlicht, welch enormes Mobilisierungspotential im Mythos Heß für Neonazis aus ganz Europa steckt. Die Wirkung entfaltete sich zu großen Teilen nach innen, als Selbstbestätigung überzeugter Nazis, welche sich von der AfD nicht repräsentiert fühlen. Zugleich wurde deutlich, dass es sich dabei um ein Projekt der bundesweiten Naziszene handelt. So wurde die Organisation des Aufmarsches neben den Strukturen um den Anmelder Christian Häger (NPD/Aktionsbüro Mittelrhein) von Berliner NPD-Nazis um Sebastian Schmidtke getragen. Das Aktionsbüro Mittelrhein ist dem Kamerradschaftsspektrum zu zuordnen und bildete die Verbindung zwischen Der Rechten und der NPD. Beide Parteien stellten Ordner und mobilisierten gemeinsam zu den Heß-Märschen in Berlin. Sie übernahmen auch die Organisation des Heß-Marsches 2018, den sie nach einigem Hin-und-Her schließlich in Friedrichshain und Lichtenberg abhalten konnten. Mit mehreren Anmeldungen schafften sie es die verschiedenen Gegenmobilisierungen hinter das Licht zu führen. Trotz mehrerer militanter Interventionen und einiger größerer Sitzblockaden konnten die Nazis ihren Aufmarsch unter dem Schutz der Bullen weitesgehend ungestört durchführen. Das Laufen durch die vermeintlich linksalternative Hochburg Friedrichshain wurde von den Nazis intern als besonderer Erfolg gewertet, auch wenn nur noch circa 800 Nazis teilnahmen.
Den Heß-Mythos brechen!
Die Nazis wollen den 17. August nutzen, um ihren faschistischen
Mythos um Rudolf Heß zu verbreiten. Der Mythos basiert auf einem
angeblichen Mord am „Stellvertreter des Führers“ durch britische Agenten
im Jahr 1987, im damaligen Kriegsverbrechergefängnis in Spandau. Heß
wurde zu der wichtigsten Symbolfigur von alten und neuen Nazis, da mit
ihm der deutsche Faschismus glorifiziert werden konnte. Seit 1988 waren
die Rudolf-Heß-Gedenkmärsche das wichtigste faschistischen Event von
Nazis aus ganz Deutschland. Besonders die Aufmärsche in den Jahren
2001-2004 konnten bis zu 5000 Nazis ins bayrische Wunsiedel, wo sich bis
2011 das Grab von Rudolf Heß befand, mobilisieren.
Nazis versuchen um Rudolf Heß mehrere Mythen wie der des
„Friedensfliegers“ zu etablieren. Heß war im Mai 1941 eigenmächtig nach
Schottland geflogen, angeblich um Friedensverhandlungen zu führen. Dabei
wurde er gefangen genommen und ins Gefängnis gesperrt. Für die Nazis
bedeutete dieser Alleingang außenpolitisch und kriegsstrategisch vor
allem Nachteile. Hitler schaffte Heß’s Posten als „Stellvertreter des
Führers“ ab, ließ dessen Personal verhaften und hielt einen seiner
Adjutanten bis zum Kriegsende im KZ fest, da dieser die Pläne von Heß
nicht gemeldet hatte. Die Behauptungen der Nazis, Heß’s Flug nach
Großbritannien hätte einen deutschen Angriff auf die Sowjetunion
verhindern und die „europäische Judenfrage“ friedlich lösen können, sind
vor dem Hintergrund der Programatik der Nazis völliger Blödsinn. Mit
diesem Mythos versuchen heutige Neonazis die Alliierten des Mordes an
Heß zu bezichtigen. Dabei soll die „Wahrheit“ über die Schuld am Zweiten
Weltkrieg angeblich vertuscht werden. Passend dazu heißt das Motto des
Aufmarsches „Mord verjährt nicht“.
Rudolf Heß war aktiv an der Judenverfolgung beteiligt, war ein
bedingungsloser Gefolgsmann Hitlers, und blieb bis zu seinem Tod ein
überzeugter Faschist, was ihn für Nazis aller Couleur zum Vorbild macht.
So sagte er bei seiner Verurteilung nach der Niederlage des deutschen
Faschismus: „Ich bereue nichts“. Der Heß-Marsch in Berlin ist darum
nicht als hilfloser Versuch von Geschichtsklitterung zu werten, sondern
soll international mobilisieren und die Stärke jener Neonazis zeigen,
die sich öffentlich zum historischen Nationalsozialismus bekennen.
Neofaschistische Strukturen zerschlagen!
Im letzten Jahr wurde immer wieder deutlich, wie bedrohlich das
Potenzial organisierter und bewaffneter Faschisten auch nach dem NSU
immer noch sein können – und wie tief sie in der BRD verankert sind: In
der Bundeswehr hat sich das „Hannibal-Netzwerk“ aufgetan, hessische
Polizist*innen bedrohen als „NSU 2.0“ Anwält*innen, die Verstrickungen
des Berliner LKA’s in den Neukölln-Komplex und in die Bedrohungskampagne
gegen die Rigaer94, der Mord an Walther Lübcke der Mord an Walther
Lübcke durch den schon seit vielen Jahren aktiven und organisierten
Neonazi Stephan Ernst, die Aktenschließung zum Mord an Oury Jalloh,
sowie der
neuerliche rassistische Mord unter Polizeiobhut an Amad Ahmad in Kleve… –
das sind nur die bekanntesten Fälle. Die Neonazis sind nicht nur gut
vernetzt mit dem bürgerlichen Staat, sondern auch ein systemimmanenter
Bestandteil dessen. Die staatlichen Organe waren schon immer ein Herd
regressiver und repressiver Ideen. Die zunehmende Enthemmung der eh
schon tendenziell faschistischen, staatlichen Organe sind ein
Spiegelbild der zunehmenden Faschisierung der Gesellschaft.
So radikalisiert sich die neonazistische Szene in Deutschland ebenso
immer weiter. Dies kommt nicht nur aus einem Bedürfnis der Abgrenzung
gegenüber denen als liberal empfundenen Positionen der AfD, sondern auch
aus dem Gefühl eine endzeitliche Schlacht zu führen, wie auch im Falle
des Christchurch Attentats.
Antifaschistische Politik bedeutet die faschistischen Strukturen inner-
und außerhalb des bürgerlichen Staates, sowie diesen selbst anzugreifen
um gemeinsam einen Schritt weiter in Richtung klassenlosen und befreiten
Gesellschaft zu gehen. Dies erfordert eine staatskritische und
klassenbewusste Antifa, statt einer launigen „#wirsindmehr“-Party mitten
in faschistischen Hochburgen.
Der 17. August 2019: viele Möglichkeiten, viel Spekulation
Bisher gibt es noch keine Anmeldung für einen Heß-Marsch in Berlin, stattdessen mobilisiert Die Rechte und ihr nahestehende Kameradschaften aus dem Rhein-Main Gebiet nach Ingelheim am Main. Der Aufruf wird jedoch nicht auf den bisher genutzten Social-Media-Seiten und Blogs geteilt.
Unterschiedliche Szenarien für den 17. August sind damit möglich:
1. Es werden von Seiten der Nazis dezentrale Gedenken geplant. Dafür
spricht die Anmeldung in Ingelheim, dagegen spricht, dass Die Rechte
bundesweit dorthin mobilisiert.
2. NPD und Die Rechte planen tatsächlich einen gemeinsamen
Groß-Aufmarsch in Ingelheim, nach dem Vorbild der Heß-Märsche 2017 und
2018 in Berlin. Dagegen spricht, dass die NPD nicht nach Ingelheim
mobilisiert, weder als Partei noch mit den bisher genutzten Blogs und
Social-Media-Seiten.
3. Die Rechte und die NPD sind in der Planung auseinander gegangen und
möchten voneinander unabhängige Gedenken veranstalten. Dafür spricht die
einseitige Mobilisierung der Rechten nach Ingelheim, ebenso wie die
Tatsache, dass die bisher genutzten Social-Media-Seiten und Blogs, die
vermutlich von Sebastian Schmidtke (NPD) bedient werden, bislang nicht
aktualisiert wurden um nach Ingelheim aufzurufen. Auch die Wahl des
Ortes spricht für diese Theorie, da Die Rechte im Rhein-Main-Gebiet
dominant ist (ggü. III. Weg und der NPD). Wenn dem so sein sollte, ist
damit zu rechnen, dass es von seiten der NPD noch eine Anmeldung geben
wird, entweder in Berlin oder in einem von der NPD (ggü. III. Weg und
Der Rechten) dominierten Gebiet (v.a. Ostdeutschland).
4. Die Rechte und die NPD sind in der Planung auseinander gegangen und
nur Die Rechte führt das Heß-Gedenken weiter. Dafür spricht, dass die
NPD sich dem “Tag der Nation”/“Tag der Patrioten” zuzuwenden scheint,
der am 3. Oktober in Berlin stattfinden soll. An dieses Motto angelehnt
fand am 13. Juli auch schon ein Konzert der Band “Lunikoff Verschwörung”
(Michael Regener) in Berlin statt. In diesem Fall gäbe es allerdings
sicherlich auch kleinere, dezentrale Gedenk-Aktionen anlässlich des
Hess-Todestages seitens der NPD.
Das Heß-Gedenken verhindern!
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Berliner Heß-Marsch könnten
unterschiedlicher kaum sein: Während der Innensenat 2017 einen mit einem
defensiven Bullenkonzept und einer wenig abgeschotteten Route
politischen Willen zeigte, dass der Heß-Marsch zumindest nicht
störungsfrei abläuft, gab es im letzten Jahr wenig Möglichkeiten den
Aufmarsch zu stören und zu verhindern. Das hatte unterschiedliche
Gründe: Zum einen das Verwirrspiel der Neonazis um den Aufmarschort,
welches nur mit Hilfe der Berliner Polizei und der Versammlungsbehörde
gelang, zum anderen das massive Bullenaufgebot, das etliche
Sitz-Blockaden räumen lies, sodass diese letztlich quasi wirkungslos
blieben.
Diese beiden Erfahrungen stehen beispielhaft für einen Fakt: Der Erfolg
der Aktionsform Sitzblockade ist abhängig von den Launen des Berliner
Senats oder des jeweiligen Bullen-Einsatzleiters. Ein selbstgewählter
Ausdruck, unabhängig von den Berliner Polizei- und Versammlungsbehörden
ist so kaum möglich. Es scheint wenigen aktiven Strukturen
einzuleuchten, dass rechte Großevents in Berlin nicht ausschließlich mit
Gegendemos und versuchten Menschenblockaden gestört werden können, von
einer Verhinderung ganz zu schweigen. So ehrlich müssen wir mit uns und
auch gegenüber den Menschen, die wir für Gegenaktionen auf die Straße
mobilisieren möchten, sein. Und dennoch ist die Mobilisierung für
Gegendemos und Menschenblockaden unerlässlich, wenn wir die Perspektive
eines Zusammenspiels unterschiedlicher Aktionsformen weiter verfolgen
möchten. Fangen wir an und richten den Fokus auf die Frage, wie wir den
Nazis wieder offensiv begegnen können mit dem Ziel den Aufmarsch zu
verhindern. Denn die Feinde der Freiheit und Emanzipation interessieren
Mehrheitsverhältnisse nicht und sind bekanntermaßen eine potenziell
tödliche Gefahr für Menschen, welche nicht in ihr Weltbild passen. Ein
konsequenter Antifaschismus muss Antworten auf diese Realität finden.
Welches dieser Szenarien am 17. August Realität werden wird, ist
momentan kaum abzusehen. Ein Grund mehr die Sache selbst in die Hand zu
nehmen und sich auch fernab von Demo-Routen und Großevents wieder
Handlungsspielräume zu verschaffen.
Den organisierten Neofaschismus zerschlagen! NS-Verherrlichung stoppen!
Egal wann, egal wo!