Wer (ent)sichert die gesellschaftlichen Verhältnisse?
Die Coronapandemie dominiert seit nun eineinhalb Jahren unseren Alltag. Der Klimawandel zeigt erste katastrophale Auswirkungen in unserem Nahbereich und fast täglich gibt es sogenannte Einzelfälle rechter Verstrickungen in den deutschen Sicherheitsbehörden. Fake News und das Postfaktische sind auf dem Vormarsch. Nicht nur Konservative klammern sich in diesem Klima an die traditionellen Säulen der Macht – an die Institutionen des Staates, Gesetze und Polizei. In Krisen zu regieren bedeutet auch immer, die Krise als ein Totschlagargument für eine Verschärfung von wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitspolitischen Befugnissen zu benutzen. Eine weiß dominierte, europäische Mittelklasse erfuhr auf eine ihr unbekannte Weise die Existenzbedrohung, die für so viele Menschen Alltag ist. Diese baute nun auf den Staat, um ihre Privilegien weiterhin durch mehr Abschottung und Rückbesinnung auf Nationalstaaten zu schützen.
Die Pandemie als Brennglas der Verhältnisse
Die gesellschaftlichen Spannungen spitzen sich zu. Tausende haben ihre Jobs verloren oder wurden in Kurzarbeit geschickt, gleichzeitig hat die Zahl der Millionär*innen in Deutschland während der Pandemie sogar zugenommen. Die Aufgabe des Staates war es schon immer, diese Widersprüche zu verwalten und in genau solchen Situationen den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten. Eine logische Konsequenz daraus ist die Ausweitung und Verstärkung der Sicherheitsbehörden. Eine Militarisierung der Polizei, mit neuen Waffen- von Tasern bis Panzern, flächendeckende Überwachung und massive Verschärfungen der Polizeigesetze, um deren Befugnisse weiter auszubauen.
Unter welchen Vorzeichen die Polizei ihre erweiterte Macht nutzt, zeigt sich in der Pandemie.
Die Maßnahmen zur Infektionseindämmung traf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich hart. Den ganzen Tag über streiften Polizei und Ordnungsamt durch die Straßen Neuköllns, um in den Spätis und Shishabars die Einhaltung der Maskenpflicht und Abstandsregeln zu überprüfen.
Während der Hochphasen der Pandemie brauchte es einen Schuldigen, der als „Treiber der Pandemie“ diffamiert werden konnte. Im Sommer 2020 waren das die Jugendlichen, die angebliche ständig wilde Partys in den Parks feierten und damit den Rest der Bevölkerung gefährdeten. Mehrere Monate titelte die BZ beihnahe täglich mit neuen Hetzartikel gegen Jugendliche. Die Polizei begegnete den Jugendlichen von Beginn an mit Gewalt. Jeden Abend räumten sie in Riotmontur die Parks. Selbst als Kneipen und Restaurants gegen Ende des Sommers wieder öffneten und sich wieder in geschlossenen Räumen getroffen wurde, hörte die Hetze und Gewalt gegen junge Menschen nicht auf.
Während die Bedürfnisse junger Menschen monatelang ignoriert wurden, weil nicht systemrelevant, mussten sie dann auch noch für das Versagen der erwachsenen Regierenden während der Pandemie herhalten und bekamen die so begründete Polizeigewalt permanent zu spüren.
Rechte Netzwerke in der Polizei
Fast täglich kommen neue Skandale über rechte Netzwerke und Nazipropaganda in den Sicherheitsbehörden ans Tageslicht. Dies fördert die Spaltung unserer Gesellschaft. Während ein Teil beginnt sich kritisch mit der Polizei auseinander zu setzen und ihre Legitimität öffentlich in Frage stellt, fordern konservative Hardliner die Ausweitung von Befugnissen zur Überwachung und behaupten damit eine vermeintliche Sicherheit herstellen zu können. Jedoch dient diese nur der Sicherung ihres Gewaltmonopols und nicht im emanzipatorischen Sinne beispielsweise der sozialen Sicherung. Es ist vorwiegend der privilegierte Teil der Gesellschaft, welcher weiterhin die Sicherung ihres Status mit Hilfe der Polizei und den staatlichen Behörden fordert und dafür sogar eine Ausweitung ihrer Autorität für notwendig ansieht.
Rassismus in den Sicherheitsbehörden
Der Rassismus in den Sicherheitsbehörden kann nicht ohne die gesellschaftlichen Rassismen gedacht werden. Rassistische Polizeigewalt wird durch einen immer weiter nach rechts abdriftenden Diskurs unterstützt und mitgetragen. Rechte Gewalt auf den Straßen wird von großen Teilen der Bevölkerung nicht wahr genommen und von den Sicherheitsbehörden geduldet oder gedeckt. Geflüchtete werden isoliert und jeder Hoffnung auf eine besseres Leben beraubt. Durch diese Behandlungen werden Menschen direkt und indirekt ermordet. Erst vor einem Jahr starb Ferhat Mayouf, als er dem Feuer in seiner Zelle in der Untersuchungshaft Moabit überlassen wurde.
Auch an den europäischen Außengrenzen werden unter anderem durch illegale Pushbacks, schutzsuchende Menschen in den Tod auf dem Mittelmeer getrieben. Diese Pushbacks werden auch von der europäischen Behörde Frontex durchgeführt.
Auch Sammelabschiebungen in angeblich sichere Drittstaaten sind ein indirektes Todesurteil. Trotz der erneuten Eskalation in Afghanistan, hält die Bundesregierung an Sammelabschiebungen weiter fest.
Videos von Polizeigewalt tauchen täglich aus allen Teilen der Welt auf. Nach dem brutalen Mord an George Floyd wurden die Rufe nach „defund the police“ immer lauter. Defund the police? Kann das ein Lösungsansatz sein? Ist die Polizei, die als Institution eine ganz bestimmte herrschaftsstabilisiernde Funktion in unserer Gesellschaft einnimmt, reformierbar? Oder ist sie nicht vielmehr eines der grundlegenden Probleme? Die Polizei dient dazu die herrschenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten und die, die von diesen profitieren zu beschützen. Für Menschen, die sich gegen diese Verhältnisse auflehnen oder diejenigen unter uns, die aus den gesellschaflitchen Normen heraus fallen, wird die Polizei zu einer potenziell tödlichen Gefahr.
Unsere Solidarität gegen ihre Repression
Wir wollen die solidarischen kämpferischen und polizeikritischen Momente des letzten Jahres aufgreifen. Die darin aufgeworfenen Fragen wollen wir gemeinsam diskutieren, uns austauschen über Alternativen, Solidarität und uns vernetzen. Auf dem diesjährigen Entsichern- Kongress vom 10.- 12. September in den Mehringhöfen in Berlin. Diese drei Tage sind unsere Antwort auf den jährlich in Berlin stattfinden europäischen Polizeikongress.
Um so breiter der Sicherheitsapparat radikal hinterfragt wird, um so mehr Menschen nach selbstbestimmten Lösungen für ihre Probleme suchen, um so näher kommen wir unserem Ideal einer anderen Gesellschaft!
10.- 12. September 2021 Berliner Mehringhöfe
Das Programm, unser Hygienekonzept und andere aktuelle Infos findet ihr unter
www.entsichern.noblogs.org
twitter: @entsichern2021