Am 29. August haben in Charlottenburg 40 Antifaschist*innen an Günter Schwannecke erinnert, der von Neonazis angegriffen wurde und am 5. September 1992 durch die Folgen des Angriffs verstorben ist. In diesem Jahr führte ein Gedenkspaziergang durch den Kiez, in dem Günter Schwannecke seinen Lebensmittelpunkt hatte. Wir möchten folgenden Redebeitrag dokumentieren der von einem jungen Mann verfasst wurde, der hier im Kiez groß geworden ist, und sich seit 2 Jahren bei der Berliner Obdachlosenhilfe e.V. im Wedding engagiert.
„ Ich bin 2004 nach Berlin gezogen. Da war die Wilmersdorfer Straße noch anders. Es gab einen Schlecker und gegenüber von diesem eine Kultkneipe „Die Schnapsdrossel“. Der Kiez war sehr bunt. Man merkte noch den Einfluss des Stuttis auf das bürgerliche Charlottenburg. So entstand eine Mischung aus Kudamm Speckgürtel , und Stuttgarter Platz Milieu.
Als erstes verschwand dann das Hotel. Es war ein billig Hotel, in welchem wohnungslose- und obdachlose Menschen für einen schmalen Taler schlafen konnten. Als Kind hatte ich immer Angst vor ihm. Ich wusste aber auch gar nicht was das für ein Ort war. Und niemand wollte mich aufklären. Es verschwand einfach und nach ein paar Jahren, zog ein feines Café ein. Dann verschwand Schlecker, und zuletzt „die Schnapsdrossel“. Die Gäste sind wahrscheinlich in den Hecht am Stuttgarter Platz oder in die umliegenden Grünanlagen gegangen.
Es zog Bio Company ein. Auf der Stutti Seite hat sich scheinbar wenig verändert. Nur die Sex Kinos werden weniger. Und die Fassade von HappyGoLuckyHearts war irgendwann da. Aber auf der Straße passiert viel. Fixpunkt, ein mobiler Drogenkonsumierraum und Beratungsstelle bieten seit Jahren ehrenamtlich Dienste an.
Wer mal auf der City Toilette auf dem Stutti war, weiß auch warum. Der Stutti rangierte zeitweise vor dem Görli als Heroin Umschlagsplatz. Der Stadt fällt dazu eine pragmatische Lösung ein. Man erklärt den Ort für kriminalitätsbelastet. Das ermöglicht der Polizei, Menschen, scheinbar ohne Rasta zu kontrollieren. Diese Kontrollen sind rassistischen und
klassistischen Motiven unterworfen. So können Konsumierende verscheucht werden. Sollen sie doch sehen, wo Sie bleiben. Alternativen werden nicht gesucht. Ebenso ist die Beschneidung der Grünanlage am S-Bahnhof Charlottenburg zu verstehen. Das passt nicht ins Stadtbild diese Konsumierenden Szene. Das denkt sich auch die Deutsche Bahn. Nachdem für viel Geld der S-Bahnhof renoviert wurde, musste dieser
natürlich auch geschützt werden. Früher gabs da auch eine Bahnhofs Mission. Jetzt patrouillieren Secus mit Hunden durch die Grünanalagen und verscheuchen Menschen. Menschen die nirgendwo anders hin gehen können.
Die SPD hat 2016 fast sämtliche Sozialleistungen für Menschen aus anderen EU-Ländern abgeschafft. Für viele Obdachlose bedeutet das, dass sie nun keinen Zugang mehr zu Wohnheimen, Entzugstherapien und in vielen Städten nicht mal mehr zu Notübernachtungen haben. Ich stelle mir vor, dass das Hotel Sie aufgenommen hätte. Der Co-Working Space macht, das bestimmt nicht.
Die Sozialpolitik ist mehr Elendsverwaltung als Hilfe für die Betroffenen. Um einen der wenigen Plätze im Wohnheim zu erhalten, müssen strenge Vorgaben erfüllt werden. Menschen mit der „falschen“ Staatsbürgerschaft sind komplett ausgeschlossen. Selbst Notschlafplätze sind viel zu wenige vorhanden. Um obdachlosen Menschen effektiv zu helfen und sie vor Gewalt zu schützen muss ein Umdenken stattfinden:
Statt die Menschen zu zwingen sich dem bürgerlichen Lebensentwurf anzupassen, müssen Menschen ihr Leben selbst gestalten können – ohne Angst auf der Straße zu erfrieren oder ermordet zu werden.
Obdachlose Menschen dürfen nicht in rattenverseuchten Unterkünften auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Auch sie haben Anspruch auf ein Leben in Würde in eigenem und selbstbestimmtem Wohnraum. Das Berliner Housing First Projekt ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Vor allem aber müssen endlich wieder bezahlbare Wohnungen geschaffen werden. Der Mietendeckel ist ein nettes Signal, längerfristig lösen lässt sich das Problem aber nur durch den massenhaften Bau von Sozialwohnungen und die großflächige Enteignung der privaten Wohnungskonzerne.
Erst wenn Wohnungenkeine Ware mehr sind, wird auch der Bedarf armer und obdachloser Menschen beachtet werden.
Außerdem müssen alle Zwangsräumungen sofort gestoppt werden
Ich denke oft an Dieter Eich, Beate Fischer, Oury Jalloh oder Günther Schwannecke. Wie würde es Ihnen heute gehen, würden Sie noch Leben. Sie wären bestimmt verscheucht, verdrängt worden. Und ihre Mörder hätten bestimmt gute Karriere bei der Polizei und DB Sicherheit machen können.Doch Sie sind tot, ermordet. Ich hoffe irgendwann wird versucht daraus Konsequenzen zu ziehen. Und Leben, welches nicht in bürgerliche Maßstäbe passt, ist etwas Wert.“
Weitere Inforamtionen über den Mord an Günter Schwannecke auf der Seite der Günter Schwannecke Gedenkinitiative.