Am 18. August, vor nunmehr vier Monaten, liefen circa 800 Faschist*innen durch Friedrichshain und Lichtenberg. Trotz monatelanger Vorbereitung und Mobilisierung gelang es nicht den Aufmarsch zu stoppen. Eine Auswertung der antifaschistischen Kampagne “NS-Verherrlichung stoppen!”, der Geschehnisse am 18. August und der Frage von Strategien und Perspektiven.
Rückblick 2017
Im letzten Jahr wurde die Naziroute stark verkürzt, da es zu mehreren
Menschenblockaden kam. Die Einsatzkräfte der Bullen ließen viele
Möglichkeiten auf die Route zu kommen, Menschenblockaden konnten lange
sitzen bleiben bis sie (für Berliner Verhältnisse) auch vergleichsweise
wenig brutal geräumt wurden, während sich Bundespolitiker*innen in ihren
Social-Media-Kanälen damit rühmten, die Gegendemo besucht zu haben.
Als Vorbereitungsbündnis kam man zu dem Schluss, dass das Nicht-Laufen
der Nazis vor allem politisch gewollt war. So konnte sich der Berliner
rot-rot-grüne Senat damit rühmen, dass die vermeintliche
Zivilgesellschaft für ein “buntes, tolerantes” Berlin auf die Straße
gegangen sei.
Außerdem erkannte man, dass die Gegend rund um die Route eigentlich viel
Raum für vielfältige Aktionsformen lies, während ja die meisten
Aufmärsche im Regierungsviertel quasi unangreifbar sind. Auch die
sabotierten Bahngleise im letzten Jahr machten deutlich, wie viele
Möglichkeiten sich boten. Die Blockaden im Jahr 2017 haben gezeigt das
es nicht zwingend ist die Blockadetaktik bis ins Detail zu organisieren
und dafür viel Ressourcen zu verbrauchen. So hat eine schnelle
Kommunikationsstruktur über öffentliche Accounts wie Twitter dazu
geführt, dass Antifaschist_innen von sich aus über verschiedene Wege die
Naziroute erreichten und dort blockierten. Die Schattenseite an der
Aktionsform der “Menschenblockade” ist die Alternativlosigkeit des
Widerstands. Es scheint als würde die Kenntnis und praktische Erfahrung
fehlen sich auf andere Aktionsformen einzulassen. Wir mussten
feststellen, dass die geduldete Blockade in der Wilhelmstr. mit einem
tiefen Vertrauen in die Bullen einherging so dass diese womöglich noch
zum Schutz vor den Nazis agieren würden. Das Konzept des
antifaschistischen Selbstschutz wird hier weiter zugunsten einer aktiven
“demokratischen Stadtgesellschaft” aufgegeben.
Auch wenn das verhindern des Naziaufmarsches politisch gewollt war, ohne
die Vielzahl der Menschen die sich auf und neben der Aufmarschroute
bewegten wäre der Aufmarsch 2017 nicht blockiert und zumindest verkürzt
worden. Wir können 2017 jedoch nur als Teilerfolg bezeichnen. Das
Resultat von 2017 war ein Abfeiern der Naziszene das es seit dem
Wunsiedel-Urteil wieder gelungen sei sich über alle Grabenkämpfe hinweg
für dieses Event zu werben und zu versammeln. Parralel freuten sich die
Demokrat_innen der Zivilgesellschaft über die vielen Menschen. Trotz
verbaler Attacken von SPD, Kirche und anderen
unseriösen Vereinen gegen die “Antifa” im Vorfeld konnten diese es sich
nicht nehmen lassen die Blockaden auf ihre Fahnen zu schreiben.
Beide Entwicklungen sowohl bei den Faschos als auch in der sogenannten
Zivilgesellschaft haben die lokalen antifaschistischen Strukturen zu
einem Umdenken genötigt, damit autonome Antifa-Mobilisierung wieder an
Profil gewinnt.
Die Wiederbelebung der Antifa-Kampagne “NS-Verherrlichung Stoppen!” war
eine Konsequenz daraus. Diese Entscheidung wurde auch im Nachhinein als
positiv gewertet: Man hat es geschafft einen Wiedererkennungswert zu
schaffen und auch eigene Inhalte zu transportieren.
Mobilisierung und Vorüberlegungen 2018
Die Mobilisierung lief schleppend an, trotz Beginn vor dem
sogenannten Sommerloch. Das Interesse weiter Teile der organisierten
Strukturen und der unorganisierten Aktivist*innen blieb relativ gering.
Diese Stimmung hielt bis zum Ende an:
Vorfeldangebote wie ein gemeinsames Erkunden der Gegebenheiten mit
Fahrrädern in Spandau wurden nur von wenig Leuten besucht, trotz einer
guten Bewerbung, ebenso wie ein öffentlich beworbener Plakatiertermin
vor Ort.
Das Aktionstraining in der Hasenheide war mit circa 25 Personen einigermaßen gut besucht.
Die Mobilisierungsveranstaltungen in Berlin sind zunächst auf wenig
Resonanz gestoßen, erst kurz vor dem Heß-Aufmarsch selbst kamen größere
Besucher*innenzahlen zusammen.
Auch die Veranstaltungen in anderen Städten schafften es nicht größer zu
mobilisieren, allerdings war die Resonanz dort trotzdem weitgehend
positiv. Die Veranstaltung war nicht nur auf die Nazidemo und
Gegenaktionen konzentriert, sondern hatte auch einen Fokus auf Heß als
Person, die Bewegungsgeschichte bezüglich Mobilisierungen gegen frühere
Heß-Aufmärsche und Überlegungen zu Entwicklungen innerhalb der
Naziszene, sodass es zu produktiven Diskussionen kam. Trotzdem müssen
wir uns die Frage stellen, warum ein bundesweites Ereignis für
FaschistInnen nicht auch ein bundesweites Ereignis für
Antifaschist*innen ist.
Die Nazis mobilisierten allerdings kaum öffentlichkeitswirksam: Während
im letzten Jahr zumindest plakatiert wurde und es einige kleinere
Vorfeldaktionen gab, wurden in diesem Jahr kaum Plakate geklebt. Die
Rechte fing wenige Tage vor dem Aufmarsch an im Raum Ruhrpott und
Rheinland mit kleineren Aktionen zu mobiliseren.
Das führte dazu, dass der Aufmarsch schwer einzuschätzen war. Durch die
gestiegenen Zahlen an rechtsradikalen Konzerten in diesem Frühjahr und
Sommer, konnte es schließlich auch sein, dass die Mobilisierung unter
dem “Antifa-Radar” lief. Die Mobilisierungsstärke der Nazis war dadurch
eine Black-Box.
In der Woche vor dem Aufmarsch sorgte vor allem die Veröffentlichung der
Nazioute für Verunsicherung, weil sie einfach zu scheiße war, als dass
irgendwer sie ernsthaft in Betracht gezogen hätte.
Vor allem im Hinblick auf die zusätzlich angemeldeten, deutlich
attraktiveren Routen in Mitte und Friedrichshain/Lichtenberg wurde die
Spandau-Route eigentlich immer unwahrscheinlicher. Vor allem die
Fredrichshain/Lichtenberg-Route hatte Schmidtke ähnlich schon zwei Mal
angemeldet.
Als Vorbereitungskreis schaffte man es aber nicht rechtzeitig zu
reagieren und neue Pläne zu schmieden, da die Nazis auch weiterhin nach
Spandau mobilisierten. Auch die bürgerlichen und staatlich geförderten
Anti-Nazi-Koordinierungen Mobile Beratung gegen rechts und Berlin gegen
Nazis mobilisierten weiterhin nach Spandau.
Währenddessen gab es aber auch einige erfreuliche Aktionen im Vorfeld:
In der Woche vor dem Aufmarsch kam es zu Angriffen auf die NPD-Parteizentrale
in Köpenick, auf den Tattooladen Utgard und auf die Lichtenberger
Nazikneipe Sturgis, die vor wenigen Wochen in Gedenken an Silvio Meier
erneut erfolgreich Ziel antifaschistischer Aktionen wurde.
18. August
Die gemeinsamen Anreisen waren leider schlecht besucht. Vor allem am
Hermannplatz und am Alex waren sehr wenig Leute (jeweils 20-30), an der
TU circa 50. Die Angebote wurden trotz Bewerbung nicht genutzt.
In Spandau war die Lage zunächst sehr unübersichtlich. Die Bullen
brachten alle ihre Kapazitäten nach Spandau, auch das Zelt für die
Vorkontrollen der Nazis.
Am offiziellen Startpunkt des Naziaufmarsch versammelten sich circa 50,
eher unorganisierte Nazis. Auch Worch wurde im Nazi-Lauti in Spandau
gesehen, einige Nazis auch am S-Bahnhof Nauen,was im letzten Jahr ein
zentraler Vortreffpunkt der Nazis war.
Die Busse der Nazis aus Hamburg und dem Rheinland parkten dagegen am Olympiastadion und fuhren direkt Richtung Alexanderplatz.
Die Nazis hatten nie vor die Route in Spandau zu laufen, was im
Nachhinein betrachtet offensichtlich war. Die Konzentration des
Vorbereitungskreises auf Spandau war schlichtweg ein Fehler.
Die meisten Antifaschist*innen kamen nach Friedrichshain mit, das
Personenpotenzial hat sich aber gegen die Erwartungen trotz der Nähe zum
Szenekiez nicht vergrößert.
In Friedrichshain bildeten sich aber trotzdem schnell viele spontane,
kleinere Menschenblockaden, von denen die meisten aber schnell geräumt
wurden, bevor sie eine relevante Größe erreichen konnten. Sie waren alle
zwischen Landsberger Allee/Danziger Straße und Storkower
Straße/Möllendorfstraße. Eine schaffte es etwa circa 50-70 Menschen groß
zu werden, die anderen hatten jeweils eine Größe von 20 bis 40
Personen. Bei den vielen verschiedenen kleineren Sitzblockaden war auch
schnell klar, dass die Bullen nicht mehr auf die sogenannte
“Deeskalation” setzen. Viele Aktivist*innen, die an Sitzblockaden
teilnahmen, berichteten, dass die meisten der Blockaden ohne die
üblichen offiziellen Ankündigungen brutal geräumt wurden.
Am Weißenseer Weg wurde währenddessen ein Buchbinder-LKW
angezündet. Storkower Straße/Möllendorfstraße gab es eine brennende
Barrikade, die ein Feuerwehreinsatz auslöste. Weiter hinten auf der
Möllendorfstraße wurde ein Zivi-Auto angegriffen und eine Baustelle
Möllendorfstraße/Scheffelstraße wurde auf die Straße verfrachtet. Es gab
verschiedenen Berichten zu Folge auch Flaschen- und Steinbewurf auf die
Nazidemo an 5-10 Stellen der Route.
Das war der einzige kurze Zeitraum, in dem die Bullen die Kontrolle in
Ansätzen verloren haben und in dem sich eine Dynamik für militant
agierende Antifaschist*innen entwickelt hat. Die Aktionen im
Zusammenspiel mit den Menschenblockaden haben zu einer Routenänderung
durch die Vulkan- bzw. Ruschestraße geführt, von wo die Nazis dann
weiter Richtung Lichtenberg über die Frankfurter Allee liefen. Dort gab
es nochmal eine kleinere Sitzblockade mit etwa 50 Personen, die aber
auch schnell wieder von den Bullen geräumt wurden.
Ab Frankfurter Allee gab es dann nur noch wenig Proteste.
Jenseits des Demo-Geschehens brannte in Lichtenberg im Weitlingkiez zudem ein Auto von Faschos.
Nach der Demonstration haben sich die Nazis in Lichtenberg in
verschiedenen Kneipen, Restaurant und Imbissen gesammelt. Man schaffte
es noch einzelne Wirt*innen über ihre Gäste zu informieren,
schlussendlich saßen die meisten Nazis aber weitgehend unbehelligt dort.
Während die Nazis noch liefen, wurde der Kampagnentwitteraccount
@ns_stopp gesperrt. Einige Anwesende beobachteten, dass auch die Dynamik
der Sitzblockaden ab da abnahm. Der Demoticker als alternatives,
eigentlich deutlich besseres Informationsportal, wurde kaum angenommen,
zumal das nur ein weiterer Beweis dafür ist, dass man sich in seiner
Informationsstrategie nie auf kapitalistische Konzerne verlassen darf.
Im nächsten Jahr könnte man eventuell davon absehen Twitter zu bespielen
und sich stattdessen nur noch auf den Demoticker konzentrieren.
Bewertung der Nazis
Für die Nazis war der Aufmarsch ein Erfolg: Sie haben es durch die
Zweit- und Drittanmeldung geschafft sowohl zivilgesellschaftliche als
auch linksradikale Antifaschist*innen hinters Licht zu führen und vor
allem durch den sogenannten “Szenekiez” Friedrichshain zu laufen.
Auch im letzten Jahr schrieben die Nazis in ihrem öffentlichen
Auswertungstext, dass es ihnen vor allem um den einigenden Moment ging.
Trotz der sehr verkürzten und unattraktiven Route bewerteten sie den
Aufmarsch als positives Erlebnis, auch weil es schon lange keinen so
großen Aufmarsch mit klarem NS-Bezug in der BRD
gegeben hatte. Schon bei der Vorbereitung für den diesjährigen
Heß-Aufmarsch nahm man das in die Analyse auf: “Der Aufmarsch in Spandau
… steht in einer Linie mit Nazigroßveranstaltungen in Themar und
Ostritz. Diesem Spektrum bleibt nur der Zusammenschluss auf der Straße
und das Ausleben der NS-Ideologie in Straßengewalt und Terrorismus, wenn
sie nicht an Bedeutung verlieren wollen.”
“Der Trugschluss des Gegners, dass Spandau für uns der neuralgische
Punkt wäre, hat uns ohne Frage massiv dabei geholfen. Spandau spielte im
Leben von Rudolf Heß zwar eine zentrale Rolle, wer Spandau aber als
zentralen Punkt unseres Protests begreift, liegt und lag einfach falsch.
Spandau war der Tatort, allerdings ist das Gefängnis bereits lang
abgerissen und der Tatort spielt bei unserem Anliegen auch nur eine
untergeordnete Rolle. Wir beten keine Orte an. Wir klagen an und fordern
Aufklärung!”
Das es geschafft wurde mit 800 Leuten durch einen “linken” Kiez zu
ziehen wird zum Anlass genommen 2019 wieder einen Hess-Marsch in Berlin
zu organisieren. Der Ort Spandau spielt für die Nazis keine Rolle. Es
geht darum in Berlin ein zentrales NS-Event zu etablieren.Dabei sollte
auch bedacht werden das die diesjährige Route an dem Friedhof
vorbeiging, auf dem Horst Wessel begraben wurde, sowie an dem
Krankenhaus, in dem er starb. In der internen Auswertung wird dieser
Route eine Bedeutung zugemessen, da Wessel als “Blutzeuge” verehrt wird,
nachdem der militante Antifaschist Ali Höhler ihm seine Grenzen
aufzeigte.
Die Analyse aus dem diesjährigen NS-Verherrlichung stoppen!-Aufruf
bleibt also bestehen: Die Nazis treiben einen weiteren Zusammenschluss
voran, in diesem Fall besonders zwschen der NPD
und der Rechten. Der einigende Moment wirkt nicht nur nach innen:
Zusätzlich können sie mit dem klaren NS-Bezug von Pegida, Identitären
und der AfD abgrenzen.
Die Strategie der Doppel- bzw. Dreifachanmeldung wird uns auch weiter
plagen, denn sie wurde nun auch schon am 3. Oktober genutzt.
Dass es um den einigenden Moment und nicht um den Ort Spandau geht, wird dabei wohl deutlich.
Strategie und Debatte
Spätestens seit den Vorbereitungen für den AfD Großaufmarsch am 27.
Mai gibt es in Berlin wieder eine breiter geführte Strategiedebatte
darüber, welche Konzepte zum Verhindern von Naziaufmärschen die
richtigen sind und welche ausgedient haben.
In den vergangenen Jahren wurde oft bzw. meistens versucht durch breit
mobilisierte und vorbereitete Massenblockaden zu blockieren. Im
Vorbereitungskreis zu den Protesten gegen den Heß-Aufmarsch gibt es
unterschiedliche Positionen dazu, wie wirksam diese Massenblockaden sind
und was sie mit der Bewegung gemacht haben, man ist sich jedoch dazu
einig, dass dieses Konzept nicht mehr funktionieren kann, besonders mit
Blick auf Berlin.
Dies hat verschiedene Gründe, die innerhalb des Vorbereitungskreises
genauso divers formuliert wurden, wie die Positionen zu Massenblockaden
allgemein. Vor allem die Strategie des Staates ist für viele ein Grund
sich von dem Konzept der Massenblockade zu verabschieden: Wenn ein
Naziaufmarsch durch Menschenblockaden blockiert wird, dann geschieht das
immer durch politischen Willen. So wurden beispielsweise schon
Blockaden mit 150 Leuten innerhalb weniger Minuten beseitigt (siehe
Merkel muss weg 2016 am Oranienburger Tor), während kleinere Blockaden
als Grund benutzt wurden Naziaufmärsche nicht laufen zu lassen oder auf
kürzere und weniger attraktive Routen umzuleiten (siehe IB-Aufmarsch
2017 oder in Teilen der erste Frauenmarsch 2018).
Trotzdem gibt es auch Gründe daran festzuhalten: Sie sind anschlussfähig
und vor allem wesentlich inklusiver als direkte Aktionen – ein
wichtiger Aspekt, der oft nicht mitgedacht wird.
Die Erkenntnis, dass es sowohl militante, als auch friedliche
Aktionsformen braucht, ist nicht neu, wird aber in Berlin praktisch kaum
umgesetzt: Bei fast allen Naziaufmärschen wird das Programm einer
Menschenblockade versucht routinemäßig abzuspielen, während militanter
Protest oft nicht mehr mitgedacht wird. Das ist auf vielen Ebenen fatal:
Nicht nur im Hinblick darauf, dass die meisten Aufmärsche im
Regierungsviertel stattfinden, wo man kaum eine Chance der Intervention
hat, sondern auch langfristig gedacht, wenn “Antifa” noch mehr als
sowieso schon zum demokratischen Korrektiv wird, militante Aktionsformen
mit fortschreitenden Generationswechseln aus dem kollektiven Gedächtnis
verschwinden und Wissen an jüngere Aktivist*innen nicht mehr
weitergegeben wird. All diese Prozesse sind schon zu beobachten.
Von manchen Gruppen wird auch das Konzept der Sitzblockaden auch
generell sehr kritisch gesehen. Schließlich begibt man sich sehr
vertrauensvoll in die Hand des Staates, egal welche Bedrohung vor allem
körperlich, aber auch durch eventuell nachfolgende juristische Prozesse
von ihm ausgeht, während man bei anderen Aktionsformen mobiler und
flexibler ist.
Dies bestätigte sich ja auch am 18. August in Friedrichshain: Wie oben
schon ausgeführt wurden die meisten der Blockaden schnell und brutal
geräumt. Ein Vertrauen darauf, dass die Bullen das Wegprügeln
ankündigen, war wohl schon immer fehl am Platz. Trotzdem waren viele von
dem Ausmaß der Gewalt, die die Bullen anwendeten, überrascht.
Gleichzeitig braucht man eine kritische Masse, aus der vielfältige
Aktionen hervorgehen können. Am 18. August haben wir es nicht geschafft
genug Leute zu mobilisieren, die diese kritische Masse bilden oder eben
selbst militante Aktionen durchführen.
Im Vorbereitungskreis kam man zu keinem finalen Ergebnis, wie die
zukünftigen Naziaufmärsche zu blockieren sind – im Regierungsviertel und
auch sonst überall.
Diese Diskussion ist wichtig, weil sie auch grundlegendere Fragen
aufmacht, von denen man viele unter “Antifa in der Krise” sammeln kann,
wie beispielsweise was die Perspektive der großen Eventmobilisierungen
ist oder welche Rolle “Antifa” innerhalb des Staates als demokratisches
Korrektiv zukommt.
Trotzdem haben Tage wie der 27. Mai, aber auch der Heß-Aufmarsch
dezentrale und militante Aktionen als Handlungsoptionen in Berlin wieder
zurück ins Bewusstsein der Szene gerufen und werden wieder
“mitgedacht”, nachdem sich lange komplett auf Menschenblockaden
beschränkt wurde.
In den letzten Wochen ist aber auch klar geworden, dass es in Berlin
einfach zu viele (Groß-)Aufmärsche gibt, um sich die Zeit für
Diskussionsprozesse zu nehmen. So wurden am 3. Oktober, am 9. und 11.
November, sowie am 1. Dezember wieder auf die altbekannten Konzepte
zurück gegriffen – im Wissen, dass sie nicht oder nur begrenzt wirken –
oder gleich gar nicht mobilisiert.
Bei dieser immer ansteigenden Anzahl von Nazi-Aufmärschen muss man sich
auch die Frage stellen, ob man tatsächlich die Kapazitäten hat um an all
diesen Terminen selbst zu mobilisieren und ob man immer auch den
Aufwand einer Infrastruktur, die militante Aktionen ermöglichen würde,
stellen kann.
Neue Strategien und Perspektiven zur Verhinderung von Naziaufmärschen müssen diskutiert werden können.
Fazit & Ausblick
Ein bitteres Eingeständnis vom 18. August ist, dass es – ob in
Spandau, Friedrichshain oder Lichtenberg, unabhängig von jeder
Strategiediskussion – nicht gelang genug Leute zu mobilisieren. Es waren
nicht genug Leute für Menschenblockaden da, es waren nicht genug
Militante da, es waren nicht genug Leute da, die eine “kritische Masse”
gebildet hätten, aus der Aktionen hätten hervor gehen können – obwohl
schon vor dem Sommer begonnen wurde zu mobilisieren. Um ein für die
Bullen unkontrollierbares Szenario zu schaffen, hätte man schlicht mehr
Leute gebraucht.
Die Angebote, die es gab, wurden kaum genutzt und man schaffte es nicht
die “Alarmstimmung”, die es im letzten Jahr in der Szene gab, wieder zu
erschaffen. Die Route in Friedrichshain hat nicht nur den
Vorbereitungskreis trotz Ankündigung überrascht, sondern offensichtlich
auch die Leute, die dort wohnen, sowie die Leute aus dem “szenigen”
Nord- und Südkiez. Anders lässt sich die geringe Anzahl an Teilnehmenden
an den militanten und friedlichen Protestformen nicht erklären.
Trotzdem wurde von Einzelpersonen aus postautonomen Zusammenhängen
kritisiert, dass es keine “Angebote” gab und der Ausdruck der
Protestformen nicht klar nach außen artikuliert wurde. Dabei wurde dies
(unserer Meinung nach) im Aufruf sehr deutlich gemacht:
“Wir wollen keinen auf Konsum ausgerichteten Protest. Jed*er sollte sich
mit seinen*ihren Leuten Gedanken machen, wie er*sie an diesem Tag aktiv
werden kann. Wir werden uns in unserem Handeln am 18. August nicht von
Entscheidungen des Senats oder Bullen abhängig machen. Wir möchten an
Aktionsformen anschließen, welche ein würdevolles Agieren jenseits der
von Bullen gegönnten Rahmenbedingungen ermöglichen. Die erfolgreiche
Gegenmobilisierung im letzten Jahr lässt hoffen, dass wir in diesem Jahr
viele sind, sich vielfältige Protestformen ergänzen können und wir den
18. August zum Gedenktag ganz anderer Art für die Nazis machen.“
Dies führt uns zu einem anderen Problem: Während dem Schreiben dieses
Auswertungstextes hatten wir immer wieder den Aufruf in der Hand.
Dauernd hatte man das Gefühl das Gleiche zu schreiben, wie schon im
Aufruf. Immer wieder fragten wir uns wer (außer Sebastian Lotzer) den
Aufruf tatsächlich gelesen hatte.
Viele äußerten sich im Nachhinein in persönlichen Gesprächen, bei
Veranstaltungen wie der öffentlichen Auswertung und vor allem im
Internet überrascht über das aggressive Auftreten der Bullen. Oft hörte
man: Man müsse “ja wirklich wieder radikaler, militanter werden”, denn
“die Zeit der Sitzblockaden sind scheinbar wirklich vorbei”. Auch das
wurde im Aufruf bereits so analysiert und gerade deshalb zu vielfältigen
Aktionen aufgerufen, der Widerhall war jedoch entsprechend gering.
Es wurde auch deshalb zu direkten Aktionen aufgerufen, weil allen klar
sein muss, dass es nun einen regelmäßigen Naziaufmarsch in Berlin geben
wird. So wurde schon im Aufruf geschrieben: “Wenn es den Nazis am 18.
August gelingen sollte sich in Berlin-Spandau zu versammeln, dürfte ein
jährlicher Großaufmarsch in Berlin Realität werden.” Dieses Szenario
steht uns jetzt unmittelbar bevor.
Die doppelte Anmeldung brachte viele aus dem Konzept, aber wie oben
schon bemerkt: Auch davon müssen wir ab jetzt bei vielen Naziaufmärschen
ausgehen, vor allem nachdem auch die Nazis von Wir für Deutschland die
gleiche Strategie benutzten. Auch das ist bei einer Strategiediskussion
zu beachten und in eine neue Strategie zu integrieren.
Schlussendlich muss man sagen, dass nicht nichts lief, aber leider viel
zu wenig, als dass es eine gewisse Dynamik gegeben hätte oder es
gelungen wäre, dass die Nazis tatsächlich gestoppt werden würden.
Im nächsten Jahr müssen mehr Kiezantifagruppen einbezogen werden, für
den Fall, dass es nicht in Spandau stattfindet. Alle Bezirke müssen
vorher geflyert und informiert werden, für den Fall, dass die Nazis eine
alternative Route durch einen anderen Bezirk planen. Gleichzeitig darf
in den Vorbereitungen Spandau nicht vergessen werden, das wahrscheinlich
trotzdem noch das vordergründige Ziel der Faschist*innen sein wird,
vorausgesetzt sie kriegen eine bessere Route als in diesem Jahr.
Die Strategiedebatte muss weiter geführt werden, damit wir zu einem produktiven Ergebnis kommen. Verschiedene dezentrale Konzepte müssen herangezogen und einzeln diskutiert werden, damit wir wieder handlungsfähig werden.
Kein Hess-Marsch am 17.August 2019 in Berlin!
NS-Verherrlichung stoppen!